Auszug aus dem Tagebuch: 26.Juni 1997
Heute ist Krantermin! Für
diese Aktion und dem anschließenden Landtransport ist von unserer Seite
kaum mehr etwas hinzuzufügen. Unseren Teil haben wir geleistet und das
Ergebnis ist nun auch für jedermann sichtbar geworden in Form eines Segelbootes
- unserer PANGÄA. Der Bootskörper überragt mit seinem Bug die
Grundstücksgrenze. Man riecht sogar noch den neuen Anstrich.
Das Boot selbst macht nun einen nackten Eindruck, denn es wurden alle vorspringenden
und über das Deck ragenden Teile wie Reling, Bug- und Heckkorb sowie Badeleiter
abmontiert. Zu groß wäre sonst die Gefahr der Beschädigung durch
herabhängende Baumäste auf der langen Landreise bis zum Meer. Diese
Vielzahl der Einzelteile wurde gekennzeichnet, beschriftet und mit dem zugehörigen
Befestigungsmaterial in der Plicht rutschfest und unverlierbar festgebunden.
PANGÄA ist reisefertig.
Ein kleines Hindernis ist allerdings noch zu erledigen - der Akt des Kranens.
Es sind nur wenige Meter auf dem Luftwege vom Baugerüst auf das Spezialfahrzeug
zu überwinden.
Wir warten noch auf das Eintreffen von Freunden und Helfern. Jetzt liegt alles
Geschick bei den Professionisten und nicht mehr in unserem Bereich. Nur das
vorherrschende Gefühl ist ungewohnt und komisch. Liegen doch nun mehr als
neun Jahre Bootsbau mit 10200 Arbeitsstunden vor. Ein Zeitraum ausgefüllt
selbständigen Tuns. Das Kranen selbst und der Abtransport erfolgen dann
für unser Empfinden einprägsam und spektakulär, aber unproblematisch
in der Handlung.
PANGÄA ist nun schon
unterwegs und ich gab ihr noch einen Klaps auf den Hinterteil als sie wegfuhr.
Sie hinterläßt jetzt viel Platz im Garten. Ungewohnt dieser plötzlich
so große Raum um mich und ich empfinde Traurigkeit, Einsamkeit und Leere.
So habe ich mir das Finale aber nicht vorgestellt, obwohl ich zutiefst zufrieden
bin. Vielleicht bin ich auch etwas überdreht, sensibel und überempfindlich
anläßlich der vielen Ereignisse in den letzten Tagen. Ich bin unendlich
müde, möchte die Augen schließen, möchte abschalten, kann
aber nicht. Ich muß noch Werkzeug für PANGÄA`s erste Fahrt einpacken.
Ersatzteile warten noch immer auf das Verstauen in das Auto. Habe ich wirklich
an alles gedacht, auch nichts vergessen? Schließlich lege ich mich dann
doch nieder um zu ruhen. Schlaf finde ich aber indes leider nicht, zu viele
Gedanken kreisen im Kopf herum.
Meine Gattin Elfi hat heute auch noch ihre letzten Arbeitsstunden vor unserem
Urlaub abzuleisten und kommt am Abend auch nicht gerade ausgeruht nach
Hause. Eine Kleinigkeit essen, mehr nicht. Wir haben kaum mehr als zwei Stunden
Zeit bis zur geplanten Abfahrt, wollen wir doch frühmorgens in der kleinen
Hafenstadt Koper in Slowenien sein, wo dann PANGÄA letztlich in das ihr
angestammte Element kommen soll.
Wieder hinlegen und ich finde letztlich doch noch eine Stunde Schlaf. Elfi schläft
leichter ein. Dann das Läuten des Weckers. Wir kommen nur langsam auf Touren
und erwachen erst gänzlich als wir im Auto sitzen um PANGÄA hinterher
zu fahren, die ganze Nacht durch. Andreas, unser Sohn, ist schon ein Stück
voraus.
Elfi schläft nun schon einige Zeit neben mir im Wagen. Das monotone Motorengeräusch
wirkt beruhigend. Das Licht des Gegenverkehrs blendet mich und ich habe Mühe
meine Augen offenzuhalten und mich auf das Fahren zu konzentrieren. Schließlich
gebe ich auf, kann nicht mehr fahren und bleibe stehen. Viel zu gefährlich,
denn ich habe bereits Sehstörungen. Fahrerwechsel. Die schmerzenden Augen
geschlossen halten tut gut. Eine Stunde, dann fahre ich wieder.
Es ist längst hell, als wir die Marina in Koper etwa um acht Uhr morgens
erreichen. Andreas ist schon eine Stunde vor uns angekommen und war sicherlich
sehr schnell unterwegs.
Und PANGÄA ist auch da! Wohlbehalten ruht sie auf dem Riesenfahrzeug. Festgegurtet
und in einer fremden Umgebung. Ich gehe eine Inspektionsrunde um das Gefährt.
Alles ist unversehrt. Ein Lob dem Transporteur.
Nach einer Stunde Wartezeit, die wir ohnehin bitter nötig haben um uns
einigermaßen zu akklimatisieren, kommt Leben in das Geschehen. Die Mannschaft
des Travellifts ist angekommen und auch PANGÄA`s Chauffeur ist nach seiner
Ruhepause wieder da. Wir lösen die Haltegurte, schlagen die Holzklötze
los und versuchen mit aktiver Mithilfe unsere steigende Nervosität zu überspielen.
Der Arbeitsvorgang des Travellifts mag für Unbeteiligte trivial sein, für
uns ist es allerdings ein Hochgefühl und nur schwer in Worte zu kleiden.
Andreas läuft mit seiner Kamera um den Kran herum um möglichst viele
Momente zu verewigen. Elfi sitzt auf einem Poller und betrachtet die Situation
aus sicherer Entfernung. Was sie jetzt wohl denken mag? Ich selbst fühle
in diesen entscheidenden Minuten nicht das, was ich in all den vielen Jahren
der Bauzeit vermeinte fühlen und empfinden zu müssen. Sollte ich nicht
jubeln, klatschen, heulen, wie irre herumlaufen und jeden vor Freude umarmen
und an meinem Glück teilhaben lassen? Nichts von dem trifft zu und alles
Reale erscheint mir wie in traumwandlerischer, entrückter Vision.
Als der Kiel die Wasserfläche berührt, durchdringt und langsam versinkt,
als der Rumpf eintaucht und sich die Krangurte allmählich entspannen, ist
der Bann gebrochen und ich erwache aus meiner Lethargie. PANGÄA schwimmt,
ist wie ein eigenständiges Wesen und nicht mehr ein lebloser Körper.
PANGÄA bewegt sich, schaukelt und wird nur noch von den losen Kranverbindungen
in Position
gehalten. Erstmals besteigen wir das schwimmende Schiff und kontrollieren das
Schiffsinnere, die Wellendichtung, Ruderschaftdichtung, Bilge und Seeventile.
Momentan ist noch alles trocken, aber wir wollen abwarten. Mit dem Kranführer
haben wir abgemacht, uns eine Stunde lose hängen zu lassen. Sicher ist
sicher!
Wir können unser Glück kaum fassen, denn das Boot schwimmt gerade
und auf der Sollwasserlinie. Als selbst nach abgelaufener Wartestunde von überall
die Frohbotschaft: "Dichtheit" gemeldet wird, ist unsere Freude perfekt.
Wir verholen PANGÄA nach vorne um wieder Platz im Kranbereich zu machen
und genießen die plötzliche Erleichterung in stiller Zufriedenheit.
Von nun an folgen vier harte Arbeitstage unter südlicher Sonne, in denen
wir die Seereling montieren, die Maste stellen, die Bäume anbringen, Segel
anschlagen, Leinen einscheren. Den ganzen Tag über wird gearbeitet, gebohrt,
gesägt, geschraubt, gehämmert und verstaut. Manchmal hilft auch ein
herzhaftes Fluchen über Unzulänglichkeiten hinweg. Mit Schwinden des
letzten Tageslichts wird auch das Werkzeug weggelegt und wir gehen übermüdet
in die Stadt um zu essen. Und Bier trinken!
Aber immer haben wir das neue, für uns unglaubliche Bild vor Augen: PANGÄA
im Wasser, PANGÄA längsseits an der Hafenmole, PANGÄA vor mediterraner
Silhouette und nicht mehr im Garten mit Blick auf Blumenbeet, Birke und Vogelhäuschen,
Nachbars Garage und dahinter aufgereihten, standhaften Gartenzwergen.